Kap. 8 Entwicklung der Architekturvision
Entwicklung der Architekturvision
Aufbauend auf dem Wirkungsbereich für die IVS-Referenzarchitektur „Multimodale Reiseinformation“ können für die Beschreibung der Architekturvision der „Multimodalen Reiseinformation“ (Blauer Bereich in Abbildung 2)
- die maßgebenden Komponenten sowie
- ihre Beiträge zur Zielerreichung einer funktionsfähigen „Multimodalen Reiseinformation“ in Deutschland
identifiziert und beschrieben werden.
Abbildung 2 Komponenten der IVS-Referenzarchitektur „Multimodale Reiseinformation“
API-Datenanbindung
Die Komponente (IT-Schicht) „API-Datenanbindung“ schließt über diverse technische Transportprotokolle die Systeme der Inhalteanbieter mit dem Zweck der Zustellung von Daten und Informationen an den für ein definiertes Gebiet zuständigen und neutralen Dienstbetreiber der „Multimodalen Reiseinformation“ (z.B. moveBW in Baden-Württemberg, VAO in Österreich) an. Ein Inhalteanbieter kann auch als Aggregator eigene Datenbestände als Informationen (z.B. Fahrplanauskunft eines Verkehrsverbunds, MDM) an der „API-Datenanbindung“ mit einem gewissen Normierungsstand zur Verfügung stellen. Der Inhalteanbieter bestimmt das Exportformat.
Der Datenzugriff erfolgt nach Absprache wahlweise im Pull- oder auch im Push-Mechanismus, um einen Abgleich des gesamten Datenbestands als Vollupdate oder inkrementelles Update sicherzustellen. Die Akteure stimmen untereinander einen geeigneten Updatezyklus ab.
Im Anschluss an den Datenimport aus den Lieferantensystemen der Inhalteanbieter erfolgt beim Dienstbetreiber die Transformation in ein normiertes, übergreifendes Datenformat, um die Leistungen der verschiedenen Träger miteinander in Beziehung zu bringen.
Von Inhalteanbietern muss an Dienstbetreiber u.a. geliefert werden:
- Fahr-, Reisezeiten,
- Aufenthaltsdauern, Umsteigezeiten,
- Tarife, Aktionsangebote/Klassen,
- Produkte und Produkteigenschaften (u.a. Größe, Strecken, Standorte, Verfügbarkeiten/Anzahl freie Plätze, Incidents vorhersehbar/nicht vorhersehbar).
Es müssen u.a. folgende Inhalteanbieter Daten und Informationen liefern:
Bahnunternehmen, Schienennetzbetreiber, Busunternehmen, Flug, Charter, Fahrradverkehr, Automobilunternehmen, Autoinformationssysteme, Mietwagen, Taxi, Transferservice, Parkhäuser, Fähren, Versicherungen, Kommunen, Länder (Vorzugsnetz für LKW, Baustellen, Sperrungen, …), Wetterdienste, Feuerwehr, Rettungsdienste, Polizei, Straßenämter, Behörden, Umweltämter, Geodatenbanken, ADAC/ADFC-Verkehrsprognosen, Mobil funkunternehmen, Informationsdienste (Google, Yahoo, Bing, …), POI (TomTom, …), Energieunternehmen, Unterkünfte etc.
Dabei ist es unerlässlich, dass die Inhalteanbieter Daten und Informationen kontinuierlich in höchstmöglicher Qualität innerhalb eines Servicestandards an den Dienstbetreiber der „Multimodalen Reiseinformation“ liefern, um eine dauerhafte Akzeptanz bei der Zielgruppe zu sichern. Die Dienstbetreiber sind dafür zuständig, mit ihrer Komponente „Informationslogik“ die vorhandenen Daten und Informationen für die Zielgruppen so aufzubereiten, dass über eine komplette Reisekette einer Zielperson über beliebige Medien hinweg in sich stimmige Informationen über beliebige Dienstanbieter (Informations- und Vertriebsdienste) an die Zielgruppe gebracht werden können.
Im Fall eines Vertriebs (Buchen, Verkaufen) von Produkten und Dienstleistungen der Inhalteanbieter über die „Multimodale Reiseinformation“ muss von der Komponente „API-Datenanbindung“ unabhängig von den angeschlossenen Dienstanbietern (mobility services wie z.B. Reisebüro, e-Ticket eines Verbunds, Autonavigationssystem) die Datenvalidierung zu
- Verkaufsinformationen, Validierung und Verfügbarkeit von Produkten und Dienstleistungen,
- gekauften Produkten und Dienstleistungen im Warenkorb,
- sicheren Bezahlungsmethoden für Nutzer und Leistungserbringer (Inhalteanbieter) und das
- Verkaufsbelegmanagement zwischen Inhalteanbieter und Kunde (Zielgruppe)
unterstützt werden.
Dies erreicht man am besten durch Nutzung von dedizierten Kundenprofilen, die den nationalen und internationalen Datenschutzstandards entsprechen.
API-Serviceanbindung
Die Komponente „API-Serviceanbindung“ ist die Schnittstelle vom neutralen Dienstbetreiber der „Multimodalen Reiseinformation“ für ein definiertes Gebiet (z.B. moveBW in Baden-Württemberg, VAO in Österreich) zu Dienstanbietern von Informations- und Vertriebskanälen (mobility services).
Die Komponente (IT-Schicht) „API-Serviceanbindung“ stellt den Dienstanbietern von Informations- und Vertriebsdiensten den Zugriff auf Information und Buchung zur Verfügung. Dabei werden verschiedenste, teilweise vom Nutzer individuell parametrisierbare und reiseabhängige Kriterien berücksichtigt, wie die
- Zeit-/Reisedauer,
- anfallende Kosten und Incentives,
- öffentliche Strategien (Umwelt, Verkehrssteuerung usw.),
- Kontext sowie
- Komforteigenschaften.
Weiterhin gibt es Zielgruppen, für die besondere Kriterien dauerhaft Anwendung finden müssen, wie gesundheitliche Aspekte oder firmenrelevante Interessen (Reiserichtlinien).
Bei der Bedienung der Dienstanbieter mit Informationen aus der „Multimodalen Reiseinformation“ muss darauf geachtet werden, dass neben der Reisemöglichkeit bezogen auf den individuellen Reisewunsch der Zielgruppe auch alternative Angebote (Fußgänger, ÖV, IV) dem Dienstanbietern über die „API-Serviceanbindung“ übergeben werden müssen, wenn öffentliche Strategien es verlangen. Die Auswahl der Reiseroute und -modalitäten obliegt aber weiterhin der Zielgruppe (Kunde).
Ein besonderer Mehrwert stellt generell die Übermittlung von Informationen aus dem Störfallmanagement (Incident Handling) über den zuständigen Dienstbetreiber der „Multimodalen Reiseinformation“ an die Dienstbetreiber von Informations- und Vertriebskanäle dar. Für diese Dienstanbieter gilt hier generell eine besondere Verantwortung für die Reisenden, sowohl
- bei Unfällen oder (Umwelt-)Katastrophen,
- bei Veranstaltungen und Events, wo Sicherheitsvorkehrungen und die Steuerung der Auslastungsverteilung in der Verantwortung der öffentlichen Hand liegen als auch
- bei Krisen oder Krieg.
Durch Informationen aus den Hochrechnungen und Vorhersagen der Inhalteanbieter zur kurz-, mittel- und langfristigen Verkehrsentwicklung in einem Gebiet können von dem Dienstbetreiber der „Multimodalen Reise“ abgestimmt mit den regionalen und überregionalen Strategien (ermittelt aus der Komponente „Informationslogik“) Informationen hinsichtlich zu erwartender Staus, Störungen und Überlastungen über die „API-Serviceanbindung“ an die Dienstanbieter übergeben werden. Damit können frühzeitig die Zielgruppen von den Informations- und Vertriebsdiensten angesprochen und informiert sowie Änderungen im Mobilitätsverhalten der Zielgruppen motiviert werden. Die Rückmeldung der Akzeptanz der Zielgruppen auf die Informationen erfolgt ebenso über die „API-Serviceanbindung“ an den Dienstbetreiber der „Multimodalen Reiseinformation“ zur Verwendung in den Komponenten Informations- und Vertriebslogik.
Über die Erstellung von Statistiken bzw. Business Intelligence (BI)-Auswertungen werden sowohl
- die Institutionen der öffentliche Hand (z.B. Verkehrsplanung, Verkehrsleitzentralen) in die Lage versetzt, ihre öffentlichen Strategien bei Planung und Betrieb zu optimieren, als auch
- die Inhalteanbieter (z.B. Veranstalter, Verkehrsunternehmen) und Dienstanbieter in die Lage versetzt, ihre Produkte und Dienste auf die Gegebenheiten eines dynamischen Verkehrsablaufs situativ anzupassen und damit ihren Vertrieb zu optimieren.
Informationslogik
Die Komponente (IT-Schicht) „Informationslogik“ verarbeitet
- die Daten und Informationen der unterschiedlichen Inhalteanbieter,
- unter Beachtung der regionalen und überregionalen geltenden öffentlichen Strategien der Gebietskörperschaften,
- situative Meldungen an spezifischen Punkten der Reisekette und
- relevante Faktoren aus dem Vertrieb (z. B. Inzentivs) sowie
- die aktuellen Erkenntnisse aus den Informations- und Vertriebsdiensten der Dienstanbieter hinsichtlich der Akzeptanz von Informationen aus der „Multimodalen Reiseinformation“.
Ein Ziel der Informationslogik ist es, optimierte Reiseketten, welche nutzerspezifische Präferenzen sowie unterschiedliche Verkehrsmittel berücksichtigen, zu berechnen und diese Informationen in vergleichbarer, integrativer und nachvollziehbarer Weise den unterschiedlichen Zielgruppen zur Verfügung zu stellen. Die Zielgruppen werden über regionale und globale Dienstanbieter (mobility services) angesprochen.
Aufgrund der Vielzahl an Akteuren und Systemen im Verkehr bzw. der Reisebranche sowie ihrer Differenzierung nach Räumen muss mit einer „Multimodalen Reiseinformation“ in Deutschland auch eine intelligente Vernetzung der zuständigen Teilsysteme (der Akteure im Wirkungsraum) realisiert werden. Hierzu benötig die Komponente der „Informationslogik“ folgende serverseitig ausgeführten Teilkomponenten.
Die Intermodale Logik integriert die aus der Nutzerschnittstelle übergebenen Daten, Informationen und Parameter (z.B. Fahrplanauskunft / Tarifauskunft, Verkehrsmeldungen und Steuerungsstrategien öffentlicher Partner, Landkreise, Gemeinden, regionaler Strategiemanager, Floating-Car-Daten, API) über die „API-Datenanbindung“. Aus den regionalen Daten und Verkehrsmanagementstrategien werden auf den Verkehrsnetzen Streckenwiderstände modelliert, die die Grundlage für das modale und intermodale Routing sind. Hierzu muss die Verkehrslage situationsabhängig berechnet und prognostiziert werden. Bei der Aktivierung einer Strategie (z.B. Umleitungsempfehlung oder P+R-Nutzung) werden in der intermodalen Logik die relevanten Netzelemente des strategischen Netzes in der Routenberechnung attraktiver gewichtet.
Die Intermodale Logik berechnet auf der Grundlage der aggregierten modalen Reisewege der externen ÖV-Router, der relevanten MIV-, Fahrrad- und Fußgänger-Router sowie auf Basis von Tarifinformationen der jeweiligen Verkehrsmittel, somit Verfügbarkeiten. Sie ermittelt daraufhin nach nutzerspezifischen Reisepräferenzen und öffentlichen Strategien eine optimierte intermodale Reisekette. Die intermodale Reiseplanung kann unter Berücksichtigung situativer zielgruppenspezifischer Bedürfnisse erfolgen wie z.B. die schnellste, günstigste oder ökologischste, emissionsfreieste bzw. verkehrsoptimalste Route. Die Berechnungsergebnisse der Intermodalen Logik werden über die API „Serviceanbindung“ den Dienstanbietern zur Verfügung gestellt, sodass regionale Partner und Aufgabenträger auch die Steuerungsstrategien in ihren Systemen weiterverarbeiten können.
Der POI- und Adressservice integriert dazu alle punktbezogenen Informationen wie Adressen, Standorte von Sharing-Angebote, Haltestellen, Parkgaragen / P+R, Ladestationen etc., die an die „API-Datenanbindung“ angeschlossen sind, in ein einheitliches Datenformat und stellt diese über Web-Service-Schnittstellen internen und externen Diensten zur Verfügung (z.B. BW API „Serviceanbindung“). Die Zusammenführung, Harmonisierung und Referenzierung aller Daten muss auf einer gleichen Netzgrundlage, dem bundesweiten Integrationsnetz Straße stattfinden. Es bildet somit die Grundlage für die bundesweite Weiterverarbeitung regionaler Daten und Strategien.
Mit der Anbindung der gebietsspezifischen Dienstanbieter für die „Multimodale Reiseinformation“ an den Mobilitätsdatenmarktplatz MDM der Bundesanstalt für Straßenwesen über die „API-Serviceanbindung“ wird sichergestellt, dass Verkehrsmeldungen und Strategien aus dezidierten Gebieten an den MDM weitergeleitet und damit ausgetauscht werden können. Hier entsteht somit ein weiterer Mehrwert im Bereich der Datenverwendung auf bundesweiter Ebene. Die Anbindung an den MDM muss dabei in Abstimmung mit den Inhalteanbietern festgelegt werden.
Auf regionaler Ebene müssen Pflegewerkzeuge (Client) die Erfassung, Verortung von Verkehrsmeldungen und Verkehrslenkungs- und Steuerungsstrategien ermöglichen. Die Pflegewerkzeuge müssen mandantenfähig sein, so dass jeder Akteur des regionalen Verkehrsmanagements seine Strategien selber einpflegen kann. Pflegewerkzeuge sind damit eine wichtige Teilkomponente zur Etablierung eines regionalen (dynamischen) Verkehrsmanagements.
Damit wird es im Rahmen der „Informationslogik“ möglich, dass die von der Intermodalen Logik unter Berücksichtigung regionaler und individueller Strategien berechnete multimodale Reise von den eigenen Routerinstanzen der Dienstleister (App-Service, Autonavigationsgerät) übernommen wird und in ihr Routing unverfälscht eingebunden wird. Damit kann der Einwirkungsbereich auf das Mobilitätsverhalten aller Zielgruppen vergrößert werden.
Vertriebslogik
Die Komponente (IT-Schicht) „Vertriebslogik“ verarbeitet Buchungs-, Stornierungs- und Bezahlvorgänge von Produkten, Dienstleistungen oder Auskünften (Informationen) der Inhalteanbieter.
Aus Sicht der öffentlichen Hand (Auskunftspflicht) bedeutet „Multimodale Reiseinformation“ die alleinige Realisierung aller Komponenten in der Infor mationslogistik. Eine Akzeptanz und dauerhafte Nutzung der IVS-Referenzarchitektur „Multimodale Reiseinformation“ wird sich nach heutigen Erkenntnissen (z.B. VAO) nur einstellen, wenn sich die angezeigten Verkehrsanbindungen auch einfach und verlässlich buchen lassen. Dies ist notwendig, um
- eine Verbindlichkeit mit der Reiseinformation zu verknüpfen (z.B. Umstieg auf den ÖPNV am P+R-Platz durch Kauf der Fahrberechtigung im ÖPNV und des Einfahrtberechtigung in den P+R-Platz vor oder während der Reise),
- die freie Wirtschaft zu endkundenorientierten Angeboten und Lösungen zu bewegen und
- um die Prozesse rund um die Dienstreise und deren Abrechnung zu automatisieren bzw. zu optimieren.
Um entlang von Reiseketten nicht nur diskriminierungsfrei alle Informationen über die möglichen Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können, muss auch die Buchung und der Kauf dieser angebotenen Produkte und Dienstleistungen diskriminierungsfrei für alle Zielgruppen möglich sein. In Anbetracht von z.B. einem unerwarteten Ereignis auf einer Reise wird damit gewährleistet, dass der Kunde nicht nur Alternativen aufgezeigt bekommt, sondern diese auch direkt wahrnehmen kann, ohne einen Medienbruch und damit neue Unsicherheiten auf sich zu nehmen. Die Zielgruppen (Nutzer) sparen Zeit, sie bekommen vereinfachte Prozesse vor und während der Reise und somit Vertrauen und Sicherheit in die „Multimodale Reiseinformation“.
Des Weiteren können durch die Einbindung der Komponente „Vertriebslogik“ in die Architekturvision der „Multimodalen Reiseinformation“ auch kommerzielle Elemente wie Inzentivierung, Gamification oder Anreizprogramme zur Unterstützung der Akzeptanz öffentlicher Strategien (z.B. Umsteigen auf den Öffentlichen Verkehr) bei Zielgruppen genutzt werden. In der weiteren Folge lassen sich damit BI-Möglichkeiten zur Erstellung von Statistiken über Reisekosten und deren Veränderung über die Jahre (Kostensteigerung) abbilden. Damit können die Zielgruppen finanzielle und zeitliche Steuerungsmaßnahmen für sich und ihr Mobilitätsverhalten einfach erkennen und ableiten.
Eine IVS-Referenzarchitektur „Multimodale Reiseinformation“ darf sich daher nicht nur auf die Informationslogik zurückziehen, sondern muss auch bei der Komponente „Vertriebslogik“ einen diskriminierungsfreien Einsatz angemessen vorsehen und beschreiben.
Data Hub
Die Komponente (IT-Schicht) „Data Hub“ stellt die serverseitige Organisationseinheit der Komponenten der „Multimodalen Reiseinformation“ dar. Es beinhaltet u.a.
- Datenmanagement und Datensicherheit (Überlassung, Weitergabe, Nutzung, Regeln, Status)
- Schnittstellenmanagement (Status, Version)
- System Management (Speicher, Verteilung)
- Lastmanagement (Anfragen, Verteilung)
- Hazardmanagement (Angriffe)
- Protokollwesen (LOG-Files, BI-Nutzung)
Der Data Hub erlaubt die kontrollierte Anbindung an die Big-Data-Analystik und an Data-Ware-Houses durch Tracing- und Tracking-Prozesse des Datenflusses über den/die neutralen Dienstbetreiber „Multimodale Reiseinformation“. Dadurch können zukünftig auf Seiten der
- öffentlichen Hand Planungs- und Verkehrssteuerungsprozesse optimiert und auf Seiten der
- Privatwirtschaft Mehrwertdienste entwickelt und an den Endnutzer verkauft werden.