Aufgabenstellung der IVS-Rahmen- und -Referenzarchitekturen
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Aufgabenstellung
Im Rahmen des Projekts „IVS-Rahmenarchitektur - ein Rahmenwerk zur Entwicklung von IVS-Architekturen“ wurde ein Rahmenwerk zur Entwicklung von Architekturen für Intelligente Verkehrssysteme (IVS) erstellt. Intelligente Verkehrssysteme bilden heute in den Anwendungsbereichen des Straßenverkehrs eine wichtige technologische und organisatorische Basis. Zudem nimmt die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnik für die zunehmende Vernetzung dieser Systeme zu und bringt zeitgleich neue Herausforderungen bei der Einführung und Integration neuer Systeme in bestehende IVS-Landschaften mit sich. Um die „intelligente“ Mobilität in Deutschland und Europa zu sichern, bilden die Durchgängigkeit von Informationen und eine damit einhergehende Integration der entsprechenden Systeme eine wichtige Voraussetzung. So sollen IVS dazu dienen, Staus und Emissionen zu reduzieren und die Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit sowie Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen.
Um Entwicklung und Betrieb intelligenter Verkehrssysteme zu unterstützen und zu vereinfachen, soll mit der frei verfügbaren IVS-Rahmenarchitektur ein Hilfsmittel bereitgestellt werden, um das Angebot von IVS und deren Innovation zu steigern. Durch Gestaltungsempfehlungen soll auf Basis der Erfahrungen der am Projekt beteiligten Unternehmen die Beständigkeit von IVS erhöht werden sowie deren Entwicklung methodisch unterstützt werden.
Neben der oftmals im Vordergrund stehenden technischen Sichtweise sind vor allem auch die inhaltliche und organisatorische Kooperation zwischen den mit der Erbringung von Mobilitätsdienstleistungen befassten Akteuren zu betrachten. Tatsächlich werden IVS in der Regel von mehreren Akteuren gemeinsam angeboten. Beispielsweise werden Baustelleninformationen von vielen Kommunen gesammelt und auf einer zentralen Plattform wie dem Mobilitätsdatenmarktplatz konsolidiert und für Navigationsdienstleister bereitgestellt. Im Beispiel haben wir demnach viele verschiedene Akteure, die an der Datenerfassung, Datenaufbereitung und dem Angebot eines intelligenten Verkehrsdienstes für einen Endkunden beteiligt sind.
Jeder der Akteure hat eine eigene Architektur, mit eigenen internen Zielen, Anwendungen und Prozessen. Diese Sichten sind in der IVS-Pyramide der FGSV repräsentiert. Die Pyramide beschreibt auf einem hohen Abstraktionslevel die Architektur der einzelnen Akteure.
Um einen gemeinsamen intelligenten Verkehrsdienst anbieten zu können, müssen die verschiedenen Akteure zusammenarbeiten und deren Architekturen sollten auf allen Ebenen der Zusammenarbeit (siehe auch Abb. 1 IVS-Pyramide) interoperabel sein. Die im Rahmen dieses Projekts entwickelte IVS-Rahmenarchitektur liefert nun den entsprechenden Umsetzungsrahmen für die Realisierung umfassender IVS-Architekturen.
In der IVS-Rahmenarchitektur werden u.a. grundlegende Festlegungen für Begriffe, Normen und Mechanismen getroffen, die erforderlich sind, um die Interoperabilität der auf verschiedenen Ebenen arbeitenden, verteilt kommunizierenden Anwendungen, Komponenten, aber auch Organisationen zu sichern. Da Begriffe häufig im spezifischen Unternehmenskontext unterschiedlich verwendet werden, bietet die IVS-Rahmenarchitektur formale Definitionen in einem Glossar zum gemeinsamen Verständnis. Insbesondere können in der Praxis Synonyme und Homonyme eine korrekte Verständigung der Partner unnötig erschweren.
Untersuchungsmethodik
Neben einem einheitlichen Begriffsverständnis bietet das Rahmenwerk für IVS-Architekturen die erforderlichen Methoden und Voraussetzungen zur Zielerreichung. Dabei orientiert sich das vorliegende Projekt am internationalen Standard ISO/IEC/IEEE 42010 sowie am Framework zur Entwicklung, Umsetzung und Pflege von Unternehmensarchitekturen der Open Group (The Open Group Architecture Framework, TOGAF), das aktuell in Version 9.1 vorliegt. TOGAF bietet unter anderem ein Vorgehensmodell, die sogenannte Architecture Development Method (ADM), Techniken zur Unterstützung einzelner Schritte im Vorgehensmodell sowie ein Metamodell mit Bausteinen und Artefakten, die zur Beschreibung einer Architektur in Form von Modellen erforderlich bzw. empfohlen sind.
Im Projekt wurden die Empfehlungen zu Vorgehen sowie Bausteine und Artefakte aus TOGAF auf den Kontext intelligenter Verkehrssysteme übertragen. Durch ein sogenanntes Tayloring wird speziell die Interoperabilität zwischen verschiedenen Akteuren auf allen Ebenen der IVS-Pyramide adressiert und Anleitungen zur Entwicklung einer IVS-Architektur wurden erstellt und in einem Wiki bereitgestellt.
Zwischen der ADM aus TOGAF und den Ebenen der IVS-Pyramide besteht eine weitestgehende Übereinstimmung. In Phase A der ADM werden u.a. die Ziele der Architekturentwicklung und die daran Beteiligten festgelegt. Die entstehenden Artefakte aus Phase A sind in die Strategieebene der IVS-Pyramide einzuordnen In Phase B der ADM werden der aktuelle und der gewünschte Zielzustand der Geschäftsarchitektur beschrieben, dabei werden die Unterschiede herausgearbeitet und mit Hilfe von Geschäftsprozessdiagrammen und weiteren Modellen dokumentiert. Die entsprechenden Artefakte können der Geschäftsebene der IVS-Pyramide zugeordnet werden. In Phase C werden der aktuelle sowie der gewünschte Zustand der Daten- und Anwendungsarchitektur beschrieben. Dazu werden Datenmodelle und Anwendungen verwendet. Einen Überblick dazu gibt die folgende Abbildung (siehe nebenstehende Abb. - Die IVS-Pyramide).
Die erarbeiteten Empfehlungen, das Glossar und die Anleitungen können sowohl für die Entwicklung realer IVS-Architekturen als auch für IVS-Referenzarchitekturen als aus einer abgegrenzten IVS-Domäne verwendet werden. Im Rahmen des Gesamtprojekts wurden bereits drei erste IVS-Referenzarchitekturen erarbeitet. Diese erstellen konkrete Handlungsempfehlungen für die jeweilige IVS-Domäne auf Basis der Vorgaben der IVS-Rahmenarchitektur. Konkret handelt es sich um IVS-Referenzarchitekturen für die individuelle Verkehrsinformation, das zuständigkeitsübergreifende Verkehrsmanagement sowie die multimodale Reiseplanung (siehe nebenstehende Abb. 2 – Instanz-Ebenen von IVS-Architekturen).
Jede dieser IVS-Referenzarchitekturen konkretisiert hierbei einen spezifischen Anwendungsbereich und stellt damit die Grundlage dar zur Spezifikation, Entwicklung und Umsetzung von IVS-Architekturen realer IVS-Dienste in einem konkreten Anwendungsfall. Die Entwicklung der Vorgaben und Empfehlungen der IVS-Rahmenarchitektur erfolgte dabei durchgehend in engem Austausch mit den drei IVS-Referenzarchitekturen. Die drei Teams der IVS-Referenzarchitekturprojekte wendeten die Empfehlungen der IVS-Rahmenarchitektur auf ihre Domäne an und konnten dadurch wertvolles Feedback an die IVS-Rahmenarchitektur zurückspielen, das im aktuellen Stand bereits berücksichtigt wurde. Damit ist die Verständlichkeit, Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit der IVS-Rahmenarchitektur sichergestellt.
Zudem brachte ein Betreuerkreis seine Expertise in das Projekt ein. Der Betreuerkreis besteht aus Vertretern von ca. 20 Organisationen. Dem Betreuerkreis wurden laufend die Zwischenstände des Projekts – also sowohl der Rahmen- als auch der Referenzarchitekturen - vorgestellt und das Feedback wurde ebenfalls berücksichtigt und umgesetzt. Auf zwei öffentlichen Workshops wurden die Ergebnisse über 40 Organisationen und Unternehmen aus dem Bereich intelligenter Verkehrssysteme vorgestellt. Damit kann eine deutschlandweite Sichtbarkeit der IVS-Rahmenarchitektur hergestellt werden. Die beteiligten Organisationen konnten sich im Rahmen der Workshops aktiv einbringen und ihre Fragen bzw. Bedenken konnten beantwortet bzw. ausgeräumt werden.
Bereits während des Projekts konnten die Experten aus dem Betreuerkreis alle erarbeiteten Ergebnisse einsehen. Dazu wurde bereits zu Projektbeginn ein entsprechendes Wiki eingerichtet. Mit Abschluss des Projekts kann das Wiki kostengünstig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Für die Weiterentwicklung der IVS-Rahmenarchitektur kann ebenfalls auf das Wiki zurückgegriffen werden.
Die Entwicklung der IVS-Rahmenarchitektur erfolgt durch die Beteiligung von u.a. Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen, Softwareentwicklungs- sowie Beratungshäusern – im ständigen Austausch mit der Praxis. Die IVS-Referenzarchitekturen sowie der Betreuerkreis und die Teilnehmer des öffentlichen Workshops trugen so dazu bei, dass die Ergebnisse der IVS-Rahmenarchitektur relevant und nützlich sind.
Untersuchungsergebnisse
Inhaltlich wurden in der IVS-Rahmenarchitektur vor allem sieben Sichten herausgearbeitet, welche für IVS-Architekturen von essentieller Bedeutung sind und als die sieben Basiskonzepte der IVS-Rahmenarchitektur bezeichnet werden und im Folgenden erklärt werden.
- Das IVS-Dienste- und -Wertschöpfungskonzept sagt aus, dass IVS-Wertschöpfung in der Regel durch Beteiligung mehrerer Rollen und vieler Akteure in Wertschöpfungsnetzwerken entsteht. Deswegen sollten sich die beteiligten Partner auf ein gemeinsames IVS-Leitbild verständigen.
- Im IVS-Rollen- und -Akteurskonzept wird ein Metamodell zur Beschreibung der Rollen entworfen, die anschließend mit Hilfe eines Templates beschrieben werden können.
- Das IVS-Ziele-Konzept überträgt den bestehenden Standard des Business Motivation Models auf IVS. Damit können sich Anbieter von IVS strukturiert mit den beteiligten Partnern über gemeinsame Ziele austauschen.
- Das IVS-Capability- und Zusammenarbeitskonzept verwendet die aus TOGAF bekannten Geschäftsfähigkeiten (Capabilities) zu Planungszwecken auf hohen Abstraktionsebenen. Durch Anwendung der Technik des Capability Based Planning können erforderliche Fähigkeiten identifiziert und im Anschluss realisiert werden.
- Die Hilfsmittel, Sichten und Werkzeuge für IVS-Geschäftsarchitektur geben konkrete Empfehlungen für die Darstellung von IVS-Wertschöpfungsnetzwerken, IVS-Governance sowie IVS-Geschäftsprozessen. Für die Modellierung der Sichten können IT-basierte Tools verwendet werden, um Artefakte wie Tabellen oder Diagramme darzustellen und zu pflegen.
- IVS-Referenzmodelle und Werkzeuge auf der Datenarchitekturebene dienen der Beschreibung von Informationsobjekten, Datenmodellen und Angaben zur Ortsreferenzierung. Das Konzept hilft dabei, die benötigten Daten, Austauschformate und Schnittstellen zu identifizieren.
- IVS-Referenzmodelle und Werkzeuge auf der Anwendungsarchitekturebene beschäftigen sich mit Anwendungen und den Schnittstellen zwischen diesen. Da die Anwendungen nicht nur in verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens, sondern sogar bei mehreren, organisatorisch getrennten Partner liegen, ist die Herstellung der technischen Interoperabilität eine Herausforderung bei der Umsetzung realer IVS-Dienste, der in der IVS-Rahmenarchitektur begegnet wird.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema IVS-Architektur entstanden während der Projektlaufzeit zwei Veröffentlichungen, die sowohl eine wissenschaftliche Prüfung des Vorgehens und der Ergebnisse ermöglicht haben, als auch die Diffusion der Erkenntnisse in die Wissenschaft und Praxis befördern. Konkret handelt es sich dabei um einen Beitrag auf der TRA (Traffic Research Arena) und einen auf der MKWI (Multikonferenz Wirtschaftsinformatik). Dabei wurden die Ergebnisse des Projekts nochmals mit Experten für einerseits intelligente Verkehrsdienste und andererseits für die entwickelte Methodik diskutiert. Ergänzend wurde das Projekt auf einer Konferenz der Open Group vorgestellt, um speziell den Zusammenhang zwischen IVS-Architekturen und TOGAF zu thematisieren. Alle Veröffentlichungen erfolgten mit Kenntnis und Zustimmung der Bundesanstalt für Straßenwesen und des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Folgerung für die Praxis
Mit Abschluss des Projekts hat Deutschland nun eine IVS-Rahmen- und drei konforme IVS-Referenzarchitekturen für den Bereich Straße. Durch den holistischen Ansatz nimmt Deutschland dabei in der EU eine Sonderstellung ein und grenzt sich bewusst von verwandten Ansätzen ab. Der holistische Ansatz bedeutet, dass neben der Technologie, den Anwendungen und Schnittstellen zwischen Anwendungen auch explizit die Geschäftsebene mit Prozessen und Rollen sowie die Strategieebene adressiert werden.
Mit dem Hilfsmittel der dokumentierten und von vielen Beteiligten empfohlenen IVS-Architekturen können zukünftig reale IVS-Dienste schneller entwickelt und einfacher betrieben werden, d.h. Unternehmen und weitere Organisationen im Bereich IVS können nun darauf basierende Dienste und Innovationen anbieten. Durch die Einhaltung der Vorgaben der IVS-Rahmenarchitektur steigt die Wahrscheinlichkeit, dass IVS langfristig am Markt bestehen bleiben, da sich durch die Harmonisierung und frühzeitige Konfrontation mit gegensätzlichen Zielen die Flexibilität erhöhen lässt, die am Markt erforderlich ist.
Zukünftige Entwicklungen im Bereich der Mobilität wie autonomes Fahren oder die Betrachtung der Verkehrswege Wasser und Luft können zusätzliche IVS-Dienste erforderlich machen, die bisher im Projekt nicht fokussiert wurden.
Eine ständige Anpassung und Weiterentwicklung ist angestrebt und auch erforderlich, damit die IVS-Rahmenarchitektur den Anforderungen aus der Praxis gerecht werden kann. Zukünftig sollte insbesondere die Entwicklung auf EU-Ebene und die Weiterentwicklung von TOGAF als Methode beobachtet werden. Gleichfalls sollen andersherum die Bestrebungen auf der EU-Ebene von den deutschen Überlegungen profitieren.
IVS-Referenzarchitekturen
Es wurden IVS-Referenzarchitekturen für die folgenden IVS-Dienstekategorien erarbeitet:
- Durchgängige Verkehrsinformation Individualverkehr
- Zuständigkeitsübergreifendes Verkehrsmanagement
- Multimodale Reiseinformationen